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Bundesgericht: IT-Beschaffung beim Bund geklärt - positiv für Konkurrenz zu MS-Produkten
05.04.2011 [Vorstand/rw]

Die elf Firmen, welche die automatische Vergabe von 42 Millionen Steuerfranken an den US-Konzern Microsoft zumindest teilweise in die lokale Wirtschaft umleiten wollten, sind vor dem Bundesgericht gescheitert.
Das höchste Gericht äussert sich erwartungsgemäss nicht dazu, ob gleichwertige Alternativen zu MS-Produkten bestehen. Es impliziert jedoch, dass Anbieter die Ebenbürtigkeit ihrer Produkte im Zweifelsfall nachweisen können.
Das ist grundsätzlich positiv für die einheimische Konkurrenz zu Microsoft und für Anbieter von Freier und Open Source Software (FOSS).


Eine Analyse des am 30.03.2011 veröffentlichten Bundesgerichts-Entscheides 2C_783/2010 vom 11.03.2011

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Zwiespalt: Einerseits Bedauern über das Scheitern einheimischer Marktteilnehmer ...
Die in- und ausländischen Firmen wollten die freihändige Vergabe des Bundesamtes für Bauten und Logistik (BBL) nicht akzeptieren. Sie hatten gefordert, solch grosse Vorhaben seien zumindest ordentlich auszuschreiben.

Wilhelm Tux Vorstandsmitglied Georg Schulthess, Chef einer der beschwerdeführenden Firmen und SVP-Parlamentarier aus Kreuzlingen, gibt sich enttäuscht: "Als Unternehmung sind wir definitiv Marktteilnehmer und somit enttäuscht vom Entscheid."

Der Bund fördere einerseits Innovation, das einheimische Gewerbe, Arbeit und Bildung.

"Wenn es aber darum geht, den echten freien Wettbewerb spielen zu lassen und sich dadurch diesen Themen zu widmen, lösen sich alle Vorsätze in Luft auf" meint Schulthess.

Die Beschwerdeführenden wollten gleiche Chancen, wie sie dem US-Multi zugestanden werden. Das BBL als Einkäufer des Bundes argumentierte, es handle sich bloss um eine Verlängerung von bestehenden Lizenzen. Die Beschwerdeführenden hielten dagegen, mit diesem Argument sei es quasi unmöglich, als Anbieter überhaupt jemals evaluiert zu werden.
... andererseits optimistische Aussichten
So bedauerlich der Entscheid für die unterlegenen Anbieter ist, schafft er doch auch positive Perspektiven:
  • Gemäss Bundesgericht müssen Ausschreibungen nämlich "primär funktional", also produkteneutral sein.
  • Ein freihändiges Verfahren ohne Ausschreibung ist nur zulässig, wenn es keine Alternativen gibt.
  • Überraschend deutlich öffnet das oberste Gericht eine Chance für Freie Open Source Software (FOSS): Das wirtschaftlich günstig­ste Angebot gewinnt, auch wenn die Beschaffungsverantwortlichen ein anderes bevorzugen würden.
  • Das BBL wollte Beschwerden gegen freihändige Vergaben verunmöglichen. Das Bundesgericht stellte aber klar, eine Vergabestelle müsse gerade auch dann mit einer Beschwerde rechnen, wenn sie glaubt, es gebe keine Produkte-Alternativen.
  • Schliesslich: auch freihändige Vergaben müssen veröffentlicht werden, was das BBL gemäss Vorinstanz womöglich nicht immer tat.
Die Beschwerde wurde abgelehnt, weil laut Gericht die Beschwerdeführenden ihren Teil hätten beitragen sollen um nachzuweisen, es gebe taugliche Alternativen. Eine blosse Liste von Software und Referenzen genüge nicht.

Die wichtigsten Punkte des Urteils werden nachfolgend analysiert.
Ausschreibungen müssen produkteneutral sein
Gemäss Bundesgericht ist die "materiellrechtlich" umstrittene Frage, "ob die Einschränkung des Beschaffungsgegenstands auf Microsoft-Produkte zulässig"[1] sei.

Diese Frage wird indirekt beantwortet: "Die Beschwerdeführerinnen machen zu Recht geltend, dass die Beschaffungsgegenstände primär funktional umschrieben werden sollten"[2]. Die Vorinstanz bejahte dies in ihrem Urteil ausdrücklich.[3]

Hier gab es aber gar keine Ausschreibung. Die Vergabe erfolgte freihändig. Nach Ansicht des Bundesgerichts schränkt sich die Vergabestelle bei einer Freihandvergabe ja gerade auf eine Marke oder ein Produkt ein. Dies darf sie dann, wenn es keine Alternativen gibt. Was auch Sinn macht: Wenn es nur ein Produkt gibt, ist ein aufwändiges Ausschreibungsverfahren unnötig.

Fehlt aber eine Ausschreibung, sind andere Anbieter, die behaupten, ein gleichwertiges Produkt anzubieten, naturgemäss ausgeschlossen. Folgerichtig müssen ausgeschlossene Anbieter Beschwerde einreichen können, wenn sie nachweisen, dass eine Ausschreibung notwendig gewesen wäre.[4]

Dieser Nachweis gelingt dann, wenn Konkurrenten ein Produkt anbieten, "das bei rechtmässiger Ausschreibung Beschaffungsgegenstand sein könnte, nicht aber, wer geltend macht, ein davon verschiedenes Produkt anbieten zu wollen."

Kurz: es müssen Alternativen vorhanden sein, die als solche zu beweisen sind.

Das Bundesgericht ebnet mit seiner Entscheidung Open Source/FOSS und anderen Produkten indirekt den Weg in den öffentlichen Beschaffungsmarkt: Nicht nur lässt es Anbietern offen, den Beweis von Alternativen zu erbringen. Wenn dieser Beweis gelingt, verschliesst es der öffentlichen Vergabestelle darüber hinaus die Möglichkeit, künftig ohne Ausschreibung freihändig vergeben zu dürfen.

Offen bleibt, ob dereinst wiederum ein Gericht den Beweis würdigen muss. Besser wäre wohl, das BBL würde sich stetig und dauerhaft von seiner einseitigen Produktpolitik verabschieden.
Freihändiges Verfahren nur, wenn es keine Alternativen gibt
Das Bundesgericht bejaht also, dass Freihandvergaben wie im bestrittenen Fall nur zulässig seien, wenn es "keine angemessene Alternative"[5] gebe.

Wer aber muss den Beweis erbringen? Die Beschwerdeführenden sahen die Beweislast beim BBL als Vergabestelle. "Das trifft als allgemeine Regel zu, kann aber nicht absolut gelten", sagt nun das Gericht. Was hätten die Beschwerdeführenden tun müssen? "Der Dritte, der behauptet, es bestünden angemessene Alternativen, muss daher substantiiert solche Alternativen anbieten und darlegen, dass sie angemessen sind [...]".

Umgekehrt heisst das aber, dass alle Konkurrenzanbieter zu den zurzeit beim Bund eingesetzten MS-Produkten diesen Beweis erbringen können, also auch Anbieter von Open Source/FOSS.[6]

Sie müssen aber nicht nur Alternativen anbieten. Das höchste Gericht kommt der öffentlichen Vergabestelle wirtschaftlich entgegen: "Der Zweck des Submissionsrechts besteht unter anderem darin, den wirtschaftlichen Einsatz der öffentlichen Mittel zu fördern". Der Anbieter, der behauptet, er könne eine Alternative (hier: zu Microsoft-Produkten) anbieten, muss "im Beschwerdeverfahren geltend machen, dass er eine konkrete Lösung anbietet, welche sowohl funktional als auch wirtschaftlich eine angemessene Alternative darstellt."[7]
Chance für Open Source/FOSS: Wirtschaftlich günstig­stes Angebot gewinnt
Wenn dereinst eine Ausschreibung nötig wird, sei der Zuschlag dem wirtschaftlich günstigsten Angebot zu erteilen, sagt das höchste Gericht. Im offenen oder selektiven Verfahren werde nicht geprüft, welche Offerte die denkbar beste sei, sondern "es werden nur die konkret vorliegenden Offerten darauf hin geprüft, welche davon die günstigste ist"[8].

Grundsätzlich kann das als Chance für FOSS-Anbieter gewertet werden. Denn diese beanspruchen oft, wirtschaftlich günstiger zu sein als Anbieter von überteuerten proprietären Lösungen. Der Nachweis dürfte zwar bei einer gross angelegten Umstellung von Arbeitsplätzen der Bundesverwaltung schwierig sein. Im Einzelfall und mit dem Ziel, kontinuierlich den IT-Produkte-Mix von Monokultur weg zu bewegen, müsste FOSS mit zunehmendem Trend aber als günstigste Variante hervorgehen.
Beschwerde auch bei freihändigem Verfahren möglich
Das BBL wollte den Firmen kein schutzwürdiges Interesse einräumen. Die beschwerdeführenden Firmen hätten gar keine realistischen Chancen auf den Abschluss eines Beschaffungsvertrags, glaubte das BBL. Das Bundesgericht sah dies aber anders. Der Vertrag mit Microsoft könne zwar vorab abgeschlossen werden. Falls aber die Beschwerde Erfolg gehabt hätte, dann wäre auch nachträglich eine Rechtsverletzung mit möglicher Schadenersatzpflicht des BBL entstanden.[9]

Das BBL wollte den Firmen gar nicht erst eine Anfechtungsmöglichkeit einräumen. Das Gericht widersprach: wenn geltend gemacht werde, die betreffende Vergabe hätte nach den einschlägigen Normen nicht freihändig erfolgen dürfen, sei auch eine Beschwerde möglich.
Auch freihändige Vergaben müssen veröffentlicht werden
Während das Bundesverwaltungsgericht als Vorinstanz schon mutmasste, es sei "nicht auszuschliessen, dass frühere Informatikaufträge des Bundes nicht nach den Bestimmungen des BöB ausgeschrieben und [...] beschafft wurden"[10], lässt das Bundesgericht weiterhin keinen Zweifel daran: auch freihändige Vergaben müssen veröffentlicht werden.

Es gesteht Einsprechern - hier Konkurrenten von Microsoft - damit ausdrücklich ein Recht zu, auch gegen solche freihändige Vergaben einzusprechen: "Diese Veröffentlichung würde kaum Sinn machen, wenn sie nicht auch in Hinblick auf eine mögliche Anfechtung erfolgte."[11]

Das BBL und andere öffentliche Vergabestellen müssen sich also weiterhin darauf einstellen.

Nicht erfreulich ist hingegen, dass das Gericht die Forderung, bei Beschaffungen müsse grundsätzlich Wettbewerb herrschen, in einem einzigen Satz an die Wettbewerbsbehörden delegiert.[12]
Keine Illusionen bitte!
Wird beim Bund nun bald Wettbewerb bei der IT-Beschaffung herrschen?

Angenommen, bei einem ähnlichen Fall würden Apple und weitere Anbieter die vom Bundesgericht stipulierten Nachweise erbringen. Das zuständige Bundesamt BBL könnte wiederum den gerichtlichen Weg der Diskussion vorziehen. Nach dem relativ klaren Verdikt aus Lausanne diesmal wohl mit zweifelhaftem Erfolg.

Taktisch geschickter wäre wohl, das BBL würde einer Ausschreibung grundsätzlich zustimmen. Es könnte sogar versuchen, potenziellen Anbietern ein vorläufiges Stillhalten schmackhaft zu machen.

Die Gerichte räumen den Vergabestellen richtigerweise die Entscheidung bei einer Beschaffung ein. Schwierig wird es, wenn Anbieter eine "funktional als auch wirtschaftlich [...] angemessene Alternative" anbieten. Dann müssten Einkäufer gemäss Bundesgericht das günstigste Angebot beschaffen.

Einkäufer öffentlicher Verwaltungen wie das BBL täten also gut daran, aktiv das Gespräch mit potenziellen Anbietern zu suchen und vor allem aufrecht zu erhalten. Beide Extrempositionen, sowohl "es gibt keine Alternativen" als auch "Migration auf Alternativen sofort", sind kaum hilfreich bei einer sich rasch verändernden informationstechnischen Landschaft.
Letztlich eine politisch-gesellschaftliche Frage
Wilhelm Tux ist überzeugt, dass die Chancengleichheit von inländischen und von FOSS-Anbietern gegenüber multinationalen Konzernen auf politischem und gesellschaftlichem Weg errungen werden muss.

Schulthess meint nach seiner Erfahrung mit dem Gang durch die Instanzen, dass nicht der Entscheid des Bundesgerichtes unbefriedigend sei, auch wenn er aus formellen Gründen diesmal negativ ausfiel. "Zuvor konnte nicht einmal die Sache an sich diskutiert werden. Mit dem Hinweis, wir als Firmen seien nicht berechtigt, Einsprache zu erheben, waren wir am Ende der Diskussion angelangt. Zumindest hier hat uns das Bundesgericht Recht gegeben."

In der Tat eröffnet das oberste Schweizer Gericht jetzt die Möglichkeit aufzuzeigen, dass es angemessene Alternativen gibt. Ist dieser Nachweis einmal erbracht, wird die Chance von Produkte-Diskriminierungen geringer. Wie bei allen technischen Märkten, die sich rasant entwickeln, ist das nur eine Frage der Zeit.

Das BBL und andere Verwaltungen tun gut daran, die Entwicklungen nicht zu verschlafen.
Wilhelm Tux fordert gleich lange Spiesse bei Vergaben
Wilhelm Tux fordert vom BBL und anderen öffentlichen Vergabestellen, dass sie ihre Fokussierung auf eine einzige Produkte- und Anbieter-Linie aufgeben zugunsten von gleich langen Spiessen für inländische Anbieter sowie für Anbieter von Open Source/FOSS.

Wilhelm Tux fordert:
  • Multinationale Konzerne oder Quasi-Monopolisten sollen nicht mehr einseitig bevorzugt werden.
  • Bei der Vergabepraxis öffentlicher Vergabestellen soll der Markt gefördert werden. Dies wird mittelfristig Preise ohne Monopolrente zur Folge haben.
  • Offene Standards und Formate sollen proprietären vorgezogen werden.
  • Die Abhängigkeit von einem einzigen Lieferanten soll vermieden werden.
  • Die Transparenz bei der Auftragsvergabe soll verbessert werden: die Anbieter sollen wissen, was warum wie entschieden wird. Eine Ausschreibung ist einer freihändigen Vergabe vorzuziehen.
  • Ausschreibungen müssen ohne Handelsmarken/-Namen definiert werden (funktionale Umschreibung gemäss Vorgabe Bundesgericht).
  • Arbeitsplätze in der Schweiz und von KMU sollen als Kriterium mitberücksichtigt werden.
PDF-Version Medien-Mitteilung (PDF, 167 kB)

Fussnoten

[1] Bundegericht, Lausanne (CH), BGer 2C_783/2010 , Urteil vom 11. März 2011, 3.1, http://jumpcgi.bger.ch/cgi-bin/JumpCGI?id=11.03.2011_2C_783/2010
[2] BGer; a. a. O., 3.6.1
[3] BVer B-3402/2009 , 3.2.7: "Das Zugrundelegen einer funktionalen Betrachtungsweise bedeutet namentlich, dass von der Vergabestelle berücksichtigte Handelsmarken beziehungsweise Handelsnamen nicht zu einer Einschränkung der Beschwerdebefugnis führen können, sind solche aus einer funktionalen Sicht doch gerade unerheblich."
[4] BGer; a. a. O., 3.3.2 und 3.3.3
[5] BGer; a. a. O., 3.5.2
[6] Das Bundesverwaltungsgericht hatte als Vorinstanz bei Fachleuten noch für Erheiterung gesorgt: "Da die Beschwerdeführenden nicht in der Lage - oder jedenfalls nicht Willens - sind, die Leistungen gemäss dem strittigen Enterprise Agreement zu erbringen, sind sie nicht als potentielle Anbieter anzusehen. " (BVer; a. a. O., 4.6)
[7] BGer; a. a. O., 3.6.1
[8] BGer; a. a. O., 3.6.1
[9] BGer; a. a. O., 1.2.2
[10] BVer a. a. O., 5.
[11] BGer; a. a. O., 2.3
[12] BGer; a. a. O., 3.7: [...] ist zu bemerken, dass es nicht Sache des Beschaffungsrechts ist, stellvertretend für die Wettbewerbsbehörden das Wettbewerbsrecht durchzusetzen."

 

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